Kiwi Paradise Reise in ein verdammt gelassenes Land by Ingo Petz

Kiwi Paradise  Reise in ein verdammt gelassenes Land by Ingo Petz

Autor:Ingo Petz [Petz, Ingo]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426436134
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2015-05-31T16:00:00+00:00


Paradies ohne Wiederkehr

»Je öfter du fragst, wie weit du zu gehen hast,

desto länger erscheint dir die Reise.«

Maori-Weisheit

Wissen Sie vielleicht, wie viel Uhr es ist?« Der hagere Mann mit dem schmalen aschfahlen Gesicht, dem Stoppelbart und der Wollmütze, der gerade noch irgendwie traumverloren an einem kleinen Zahnrad geschraubt hatte, drehte sich um, blickte den alten Mann mit Cowboyhut, der im Türrahmen stand, fragend an und sagte dann mit ruhiger Stimme: »Entschuldigen Sie. Aber ich habe den Sinn für Raum und Zeit verloren.« Der Alte zuckte mit den Schultern, als sei dies die normalste Antwort der Welt in diesen Breiten. »Da kann man nichts machen, Mate«, erwiderte er lakonisch in einem tiefen Südland-Akzent, dem man das Trampeln von Rinderherden in den Weiten Otagos anzuhören glaubte. Dann verließ er diesen seltsamen Wohnwagen am Rande des Universums, mit festem Tritt und geradem Blick. Durch ein Fenster beobachtete ich, wie der breitschultrige und hochgewachsene Neuseeland-Cowboy zu dem Schafskelett marschierte, das als Blickfang neben der Straße auf einem Fahrrad saß, das wiederum auf einem Stahlrohr montiert war. Der Mann ergriff das Pedal und begann es langsam zu drehen. Das Schaf fuhr Rad, und dabei schien das tote Vieh hinter seiner Sonnenbrille zu grinsen. Und das auch noch hämisch. Der Mann blickte hinauf zu dem Schafschädel, als sein feister grauer Schnauzbart ein linkisches Lächeln formte und seine Augen glänzten wie die eines Zehnjährigen, dem Supermann gerade höchstpersönlich eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hatte.

Ich stand wie angewurzelt in diesem alten umgebauten Wohnmobil, das aus Alice im Wunderland oder einem Tim-Burton-Film hätte stammen können, die Szenerie draußen an der Straße fest im Visier. Lange hatte die Fahrt hieraus in die Catlins gedauert, diesem wilden braungrünen Landstrich mit seinen typischen Podocarp-Wäldern, in denen, wie die Maoris glaubten, der Maeroero, ein haariges Riesenmonster, eine Art Werwolf, sein Unwesen trieb. Hieraus, wo man bereits die ungezähmte Rauhheit der Antarktis spürte. Bäume wuchsen hier so, wie der ständig kräftig wehende Wind sie wachsen ließ – ihre knochigen Gruselfilm-kronen schienen manchmal wie Vordächer über dem Boden zu schweben und erinnerten so daran, dass der Mensch hier nur leben konnte, wenn er die Herrschaft der Natur als Glück verstand. Auf dem Weg hatte sich die märchenhafte Abgerücktheit der Region bereits angedeutet. Nach meiner seltsamen Begegnung mit den Delphinen von Kaikoura war ich über die State Highway 1 ins schottisch geprägte Städtchen Dunedin gefahren. Von dort aus durch ländliche Gemeinden, wo es nach Dung und Mist und Fish and Chips roch und wo es dicke, freundliche Metzgerinnen mit rosa Wangen gab, die hinter neonkühlen Auslagetheken große saftige Steaks anboten. An manche Zäune hatten Farmer wohl aus einer bizarren Sammelwut heraus Hunderte von alten Schuhen gehängt, und in Milton gab es sogar eine landesweit bekannte Sehenswürdigkeit zu bewundern: einen Knick in einer Straße.

Je tiefer man in den Süden kam, desto größer schienen die Landmaschinen und Muffins zu werden, desto rarer und kleiner wurden die Gemeinden, bis sie sich schließlich als einzelne Farmhäuser zwischen den grünen Hügeln der Catlins verloren, und desto unbedeutender wurden alle Kategorien der kultivierten Hipness. Der



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